Jede gute Sportart braucht auch eine gute Gründungslegende. Die des Radballs geht so: Es soll Ende des 19. Jahrhunderts gewesen sein, als dem damals bekannten Kunstradfahrer Nick Kaufmann ein kleiner Hund vor sein Rad lief. Um sich selbst den Sturz und dem Tier eine Verletzung zu ersparen, beförderte er ihn sanft mit dem Vorderrad zur Seite. Daraus, heißt es, entstand die Idee des Radballs. Eine Mischung aus Fußball und Radfahren. Mit Ball, statt Hund, versteht sich.
150 Jahre später: Die Konstanzer Moritz Hundsdörfer und Mario Oexl, beide 15 Jahre alt, bereiten sich auf die Deutsche U18-Meisterschaft im Radball vor. Moritz und Mario sind eine Mannschaft – und dazu eine sehr erfolgreiche. Ihren Halbfinal-Sieg in der Wollmatinger Halle vor gut zwei Wochen haben sie sich souverän erspielt. Jetzt hoffen sie auf den Sieg bei der Endrunde in Aalen am 23. und 24. April. Zwei Mal die Woche trainieren sie mit dem Fahrrad, einmal die Woche sind sie im Krafttraining, proben Spiele und Spielzüge, legen Taktiken fest. Mario und Moritz kennen die Schwächen ihrer Gegner. Die Profi-Radball-Szene ist überschaulich, in die Endrunden kommen oft „die üblichen Verdächtigen“, sagt Mario. Sie kennen aber auch ihre eigenen Schwächen. Feldspieler Moritz muss das gezielte Schießen üben, Torhüter Mario feilt daran, auch härtere Bälle abzufangen. Bis zu 70 Kilometer schnell kann der Ball werden. In seinem Kern besteht er aus gepresstem Elch- oder Rosshaar, so hüpft er kaum. Das Training findet in der vereinseigenen, kleinen Radsporthalle des Velo- und Motorfahrer-Club Konstanz in Allmannsdorf statt.
Bis Mario und Moritz überhaupt schießen konnten, dauerte es eine Weile. „Mindestens 2 Monate regelmäßiges, intensives Training“, sagt Mario. Und das Radfahren muss man auch gleich noch mal neu lernen: „Die meisten, die es das erste Mal ausprobieren, kippen erst mal nach hinten weg“, erklärt Moritz die Tücken des speziell für den Sport modifizierten Rads. Ohnehin, sagt Mario: Viele ihrer Freunde könnten sich schlecht vorstellen, was die beiden Jungs da überhaupt machen. „Man muss das einfach mal ausprobieren, um zu wissen, wie cool es ist“, ergänzt Moritz. Wie familiär die Atmosphäre während und vor allem auch nach den Spiel sei. Mit ein paar Mannschaften wie dem Team aus Kemnat bei Stuttgart sind die beiden auch befreundet.
Moritz und Mario selbst sind schon lange befreundet. Nicht als beste Freunde, aber als gutes Team. Die beiden kennen sich seit ihrer Kindheit, wohnen in der selben Straße, haben früher schon im Team gespielt: damals noch als Räuber und Gendarm. Ein Nachbar und Trainer im Veloclub hatte die Jungs dann, als sie neun Jahre alt waren, zu dem Sport gebracht. Inzwischen haben die beiden schon einige Pokale bei sich Zuhause stehen: Zweiter Platz bei der Deutschen Meisterschaft der Schüler 2014, Bodenseemeister 2012 und 2015, im C-Kader der deutschen Nationalmannschaft. Mehr als einen Pokal gibt es bei den Wettbewerben allerdings nicht zu gewinnen. Selbst bei der Weltmeisterschaft im Radball bekommt der Sieger: Ein Fahrrad. Gut so, finden die beiden Jungs. „Radball ist noch nicht so vom Geld verseucht wie zum Beispiel Fußball“, sagt Moritz.
Die Spieler blieben dem Verein treu, bei dem sie angefangen haben. Auch Moritz und Mario haben weder vor, den Verein, noch die Stadt zu verlassen: „Das ist eine geile Stadt, warum sollte man hier weggehen?“ fragt Moritz. In zwei Jahren wird er Abitur machen, Mario steckt mitten in den Abschlussprüfungen zur Mittleren Reife. Einen Ausbildungsplatz zum Industriemechaniker hat er schon, in Singen bei Constellium. Ab September muss er dann sehen, wie er das intensive Radball-Training und die Arbeit unter einen Hut bekommt, sagt er. Vorher steht aber noch die Deutsche Meisterschaft in Aalen an. 30 Fans aus dem Familien- und Bekanntenkreis fahren mit. Nervös? „Ne“, sagt Moritz. „Wenn,dann direkt vor dem Spiel. Aber sobald ich dann auf dem Fahrrad sitze, ist die Aufregung ganz schnell weg.“
Radball in Konstanz
1892 wurde der Velo- und Motorfahrer-Club Konstanz gegründet. Derzeit deckt er die Bereiche Radball, Radrennsport und Radtouristik ab. Radball gibt es in Konstanz seit 1921. Für gewöhnlich wird der Sport im Zweier-Team gespielt. Moritz Hundsdörfer und Mario Oexl könnten in die Fußstapfen von Karl Kaiser und Walter Stöckle treten: Die gewannen im Jahr 1936 die deutschen Jugendmeisterschaften. Den Vizetitel haben Mario und Moritz schon in der Tasche. Außerdem wurden die beiden für den C-Kader nominiert und trainieren seitdem regelmäßig in Frankfurt mit dem Junioren-Bundestrainer Michael Lomuscio. Ihr großes Ziel: "Die Weltmeisterschaft natürlich", sagt Moritz.
(Südkurier, Ausgabe vom 21.04.2016. Bild: Peter Pisa)