Südkurier: Ein rasender Polizist im Seniorenalter

René Brotzge vom VMC Konstanz will sich das „Gelbe Trikot“ der 1000 Kilometer LBS-Rennserie zurückholen
(Von Dirk Salzmann, Ausgabe vom 10.07.2003)


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"Schwarz und Gelb sind alle meine Farben“, könnte momentan René Brotzge vom VMC Konstanz singen. Der Team-Senior der Radsport-Equipe rangierte bis vergangenes Wochenende auf dem Spitzenplatz der 1000 Kilometer Rennserie um den LBS-Cup (Gelbes Trikot), die Ü 40-Wertung (Schwarzes Trikot) hat der 45-jährige Schweizer ohnehin so gut wie sicher. Mit Brotzge belegt der VMC Konstanz in der Teamwertung ebenfalls Rang eins. „René ist vor der Saison zu uns gewechselt. Ich habe mir bereits im Vorfeld viel von ihm versprochen, dass er allerdings so gut einschlägt, damit habe auch ich nicht gerechnet“, zollt Team-Leiter Thomas Keck seinem momentanen Vorzeigefahrer Respekt. Brotzge erlebt in der Tat seinen zweiten Frühling, denn nach vielversprechenden Junioren-Jahren folgte eine Krise, die er erst in den letzten Jahren überwinden konnte.

„Ich war zehn oder elf Jahre alt, als mir mein Vater das erste Rennrad kaufte“, erinnert sich Brotzge, der aus einer Radsport begeisterten Familie stammt. Rund um Kreuzlingen war der Filius fortan auf zwei Rädern mit dem Papa unterwegs. Ein Training, das sich bald auswirkte. „Bei meinem ersten Rennen bin ich gegen wesentlich ältere Kinder gefahren, konnte aber gewinnen.“ Umzugsbedingt spulte Brotzge seine Kilometer in der Zwischenzeit bereits für den RV Winterthur ab. Seine beste Radsport-Zeit folgte dann in der Juniorenklasse: „Ich gehörte zum schweizer Nationalkader, war mit 18 Jahren der zweitbeste Junioren-Fahrer des Landes“, so Brotzge, der den Sprung zu den Aktiven zunächst mühelos bewältigte.

„Trotz meiner Schwächen beim Berg-Fahren war ich bald in die Elite-A-Klasse aufgestiegen“, so Brotzge, dessen Rad-Karriere durchaus auch Profi-Züge hätte annehmen können. Dann aber kam der Karriere-Bruch: Brotzge wurde zum Militärdienst eingezogen, reduzierte das Training, verlor die Motivation. „Mit 22-Jahren bin ich bei Winterthur noch einmal in einer A-Mannschaft gefahren. Ich war aber nur Durchschnitt. Dann lernte ich meine erste Frau kennen, meine Interessen verlagerten sich. Schließlich habe ich das Radfahren sein lassen.“

Vier Jahre lang dauerte die Auszeit, in der Brotzge sich bei diversen Volksläufen fit hielt. Mit 28 Jahren entdeckte er dann erneut seine Rad-Leidenschaft, trat wieder in die Pedale. „Aber nur so zum Plausch“, relativiert er sein Engagement. Aus dem Plausch wurde wenige Jahre später ernst. „Mit 36 Jahren bin ich nach Mallorca geflogen, habe bei einem Robinson-Club eine Bike-Station geleitet“. Drei Jahre lang führte der Schweizer Touristen mit dem Mountainbike über Stock und Stein der Ferieninsel. „Da konnte ich trainieren wie ein Profi.“ Außerdem lernte er seine heutige Frau kennen. „Die studierte damals, machte Urlaub auf Mallorca. Wir haben uns beim Biken kennengelernt.“ Allerdings entschied sich das Paar schließlich doch wieder für ein „normales“ Leben, kehrte in die Schweiz zurück: „In Winterthur fand ich aber keinen Job in meinem gelernten Beruf als Kaufmännischer Angestellter. Schließlich zogen wir in die Nähe von Kloten“, so der heute 45-Jährige. Die Freude am Radsport nahm er von der Urlaubsinsel mit nach Hause.

Der in Mettmenhasli wohnhafte Senioren-Fahrer ist mittlerweile bei der Stadt Zürich im Polizeidienst angestellt, was ihm auch als Radfahrer entgegenkommt. „Ich gehöre zur schweizer Polizei-Nationalmannschaft, bekomme für Trainingslager und Rennen zwei Wochen zusätzlichen Urlaub.“ In dieser Equipe geht es ihm übrigens ähnlich wie beim VMC Konstanz, zu dem er vor dieser Saison wechselte, nachdem er bereits beim Konstanzer Radrennen in der B/C-Klasse mit einem Podestplatz auf sich aufmerksam gemacht hatte. „Ich bin der Älteste. Die Leute staunen schon etwas, wenn sie sehen, dass ich in meinem Alter noch mithalten kann.“ Wie lange ihm das noch gelingt, darüber kann auch Brotzge nur spekulieren.

„Ich schaue nur von Jahr zu Jahr. Es gibt viele Fahrer, die eigentlich heute schon besser sind als ich. Aber denen fehlt die Erfahrung und der letzte Biss. Deren Beine wären besser als meine, aber ich habe den besseren Kopf“, begründet er seine Saisonerfolge, die ihm phasenweise das gelbe Führungstrikot einbrachten. „Vergangenes Wochenende war ich noch in Gelb. Aber dann habe ich im Sprint versagt, weil ich vorher zu wenig gegessen hatte.“

In der Team- und Seniorenwertung führt die vor der Saison neu zusammengestellte Konstanzer Mannschaft dennoch im Gesamtklassement, das Gelbe Trikot des Führenden will sich Brotzge vielleicht schon an diesem Wochenende beim Rennen in Schondorf wieder holen. „Ich liege nur zwei Punkte zurück. Fünf Rennen stehen noch aus, davon drei Kriterien. Diese liegen mir besonders. Ich will das Leader-Trikot holen“, so Brotzge, der sich auch eine Zukunft als sportlicher Leiter bei einem Rennteam vorstellen könnte. „Ich habe diesen Posten bereits schon einmal beim A-Team Saeco Schweiz ausgeübt. Das könnte mich reizen, denn so könnte ich einiges von meiner Erfahrung weitergeben.“