Der lange Schatten der Tour

Hämatokritwert, Blutdoping, Ehrenerklärung: die Anwärterliste auf das Unwort des Jahres 2007 ist zwei Tage nach dem finalen Zieleinlauf der Tour de France beträchtlich und der Radsport liefert hierfür einen immensen Beitrag. Selbst das Wort "positiv" erscheint in diesem Zusammenhang plötzlich negativ. Mag man den Skeptikern Glauben schenken, so ist die Tour de France tot.


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Eingeschränkt: Auch Amateur-Radsportler wie Christian Wochner (links) und Vereinspräsident Thomas Keck (beide
VMC Konstanz) haben unter den Doping-Skandalen der Tour de France zu leiden und kämpfen um den Ruf ihrer Sportart.

Fakt ist, dass die Dopingsünder der "Tour de Farce" das Ansehen einer ganzen Sportart gründlich ruiniert haben. Verursacher dieser Tragödie ist der "Tête de la course", also die professionelle - sprich hochbezahlte - Spitze der Sportart. Doch die Zahl der Leidtragenden ist vielfach größer, denn jene durch Geld, Sponsoren und Rennställe massiv unter Druck stehenden Berufssportler fügen dem Radsport in allen Bereichen enormen Schaden zu. Die Tour de France mag am Ende sein, aber gilt dies auch für den gesamten Radsport, auch für die Sportler an der Basis?

Christian Wochner, 23-jähriger Amateurfahrer des VMC Konstanz formuliert den negativen Effekt der jüngsten Dopingfälle aus Sicht der betroffenen Amateursportler: "Der Tour-Skandal schadet dem gesamten Amateursport. Der Ruf unserer Sportart wird in Mitleidenschaft gezogen und die Vorfälle im Profibereich werfen einen langen Schatten - auch auf uns."

Es geht jedoch nicht nur um jenen massiven Image-Schaden. Ein weiteres großes Problem ist, dass der Profisport die Strukturen im Amateurbereich beeinflusst - vom Nachwuchsbereich bis zum Umgang mit Sponsoren. Thomas Keck, Fachwart für Radrennsport im Bereich Bodensee-Hegau, A-Trainer beim Bund Deutscher Radfahrer und Präsident des VMC Konstanz, erläutert die Auswirkungen der Doping-Skandale auf den Konstanzer Veloclub: "Es gibt positive und negative Erkenntnisse: Die Sponsoren halten zu uns, weil wir Jugendarbeit und Amateursport betreiben. Beim Nachwuchs hat der Zulauf allerdings schon etwas stagniert. Diejenigen, die zu uns stoßen wollen, bekommen jetzt falschen Respekt vor dieser Sportart."

Stichwort Nachwuchs: Lukas Isele ist erst 14 Jahre alt und einer der jüngsten Fahrer des VMC Konstanz. Selbst dieser jugendliche Sportler muss die negativen Reaktionen auf die jüngsten Dopingvergehen am eigenen Leib erfahren, steht jedoch weiterhin voll zu seiner Sportart: "Bei Ausfahrten werden wir als Doper beschimpft. Unser Sport wird nicht mehr ernst genommen, dabei wird im Jugendbereich auf keinen Fall gedopt. Ich bin Radsportler und mache auf jeden Fall weiter." Jugendliche Neuzugänge, wie der 1995 geborene Paul Tietmann, sind beim VMC Konstanz momentan die Ausnahme. Tietmann - dessen Lieblingsfahrer im übrigen Jens Voigt ist, weil er ihn "einfach gut" findet und ihm "zutraut, dass er nicht dopt" - wollte laut eigener Aussage unbedingt Rennrad fahren und "zeigen, dass man es auch ohne Doping schaffen kann". Beruhigend, dass zumindest ein 12-jähriger Nachwuchsfahrer so viel Vertrauen in den besten deutschen Fahrer der Tour de France hat. Beunruhigend ist aber, dass auch Tietmann Beschimpfungen wie im Fall Isele nicht erspart bleiben werden.

Solche Zwischenfälle gegenüber Fahrern des VMC Konstanz - ob Jugendliche oder Erwachsene - ärgern Thomas Keck maßlos. "Wichtig ist, den Profiradsport vom Amateurradsport klar zu trennen und die Leute zu informieren", fordert der Vereinspräsident. Er erklärt, inwiefern auch Amateurfahrer kontrolliert werden und warum es keinerlei Sinn macht, im Amateur- und Jugendbereich zu dopen: "In den Eliteklassen A und B sind Dopingkontrollen absoluter Standard, in der Elite C und im Nachwuchsbereich wird bei größeren Rennen kontrolliert. Mir ist bis heute noch kein Fall bekannt geworden. Für die Fahrer aus dem Bodensee-Hegau-Gebiet und Konstanz würde ich meine Hand ins Feuer legen. Schwarze Schafe gibt es überall, aber: ein Amateur kann pro Sieg 200 Euro gewinnen. Das ist doch kein Betrag, um die Gesundheit zu gefährden."

Einer dieser Sportler, für den Keck die Hand ins Feuer legen würde, ist Elite C-Fahrer Wochner. Dieser unterstreicht die Worte des Radsport-Funktionärs und verweist auf den großen Zusammenhang von Geld und Doping: "In unserer Leistungsklasse macht das doch keinen Sinn. Bei uns steht der Spaß im Vordergrund und nicht das Geld."

Der Amateur-Radsport ist nicht der Profi-Radsport. Ob Präsident, Amateurfahrer oder Nachwuchstalent - stellvertretend für ihre Mitstreiter versuchen Keck, Wochner, Isele und Tietmann die Zweifler diesbezüglich aufzuklären und von ihrem - sauberen - Sport glaubhaft zu überzeugen. Nicht gerade ein einfaches Unterfangen, weil das Wort glaubwürdig so gar nicht zum aktuellen Skandal passen will.

"Wir müssen uns präsent zeigen und unsere Radrennen weiterhin auf sauberem Wege bestreiten, natürlich mit Unterstützung der Anhänger unserer Sportart", beschreibt Thomas Keck die weitere Vorgehensweise des VMC Konstanz im Kampf um Glaubwürdigkeit. Trotz Wut, Enttäuschung, Unverständnis und Konsequenzen am eigenen Leib und Sport, ist Thomas Keck - auch im Hinblick auf den Profiradsport - noch zuversichtlich: "Ich denke, dass die derzeitigen Anti-Doping-Aktionen erfolgreich sein werden und bin überzeugt davon, dass es einen Punkt gibt, der die Wende bringt. Ich bin froh für jeden Tag, an dem Einer erwischt wird. In drei, vier, vielleicht fünf Jahren wird sich die Sache hoffentlich erholt haben."

In diesem Fall könnte Konstanz schon bald zum Etappenort eines internationalen Profiradrennens werden - der Tour de France. Bereits im Jahre 2001 hat sich Konstanz hierfür beworben und Thomas Keck würde die Bewerbung auch in der aktuellen Situation nicht zurückziehen: "Eine Tour-Etappe in Konstanz wäre eine tolle Sache für Stadt und Region, auch wenn die Lage im Moment schwierig ist. Man muss als Bewerberstadt 10 bis 13 Jahre warten, bis man zum Zuge kommt. Würde man die Bewerbung jetzt köpfen, wären bereits entstandene Kosten und die Wartezeit dahin."

Vielleicht hat Thomas Keck recht und Konstanz bejubelt in wenigen Jahren eine Etappe der Tour de France - ganz ohne erhöhte Hämatokritwerte, Blutdoping und Ehrenerklärungen.

(Alexander Rabe, Südkurier, Ausgabe vom 31.07.2007. Bild: Rabe)